Londrießörvis

Das gleichmäßige Wummern der Maschinen nimmt sie schon gar nicht mehr wahr. Zu viele Jahre hockt sie schon links neben den vier Trocknern. Am Anfang war da noch dieses Leuchten in ihren Augen. Durchgangsstation Wäscherei. Waschmittel zum Zweck. In jeder freien Minute hat sie Bücher gewälzt und recherchiert. Wo gibt es ein bezahlbares Kunststudium? Wie viel kostet ein Atelier? Was meint mein Vater wirklich mit „wirf dein Leben nicht weg“?

Eine ungewollte Schwangerschaft, eine ungewollte Ehe und ein ungewolltes Leben später sitzt sie immer noch hier. Die Motivation ausgebleicht. Das einzige, das noch leuchtet, ist die thailändische Soap auf dem zersplitterten Handybildschirm, von dem sie sich berieseln lässt.

Als der Trockner piepst wird die Serie noch nicht einmal pausiert. Die Folge hat sie gestern schon geschaut. Müde schlurfende Schritte zu dem Gerät, aus dem die dampfende Wäsche gehievt wird. Essensreste, Blut oder andere Körperflüssigkeiten sind nicht mehr zu sehen. Leidenschaftslos beherrscht sie alle Flecken und lässt nichts übrig, außer ein reines, unglückliches Weiß. Beim Gedanken, welcher Arbeitsschritt als nächstes folgt, hellt sich ihre Miene aber auf. Zum ersten Mal an diesem Tag. Die einzige Chance sich in diesem Beruf kreativ auszuleben.

Vorfreudig holt sie die Laborhandschuhe und den Käfig aus dem Regal. Sie streift ihre sterile Arbeitskleidung über und breitet das saubere Laken auf ihrem Arbeitstisch aus. Ein gezielter Griff später und die schmächtige Frau hält eine pensionierte Labormaus in der Hand. Mit einem langen Wattestäbchen puhlt sie in dem menschlichen Ohr der Maus, das auf dem Rücken des kleinen Nagers herangezüchtet wurde. Vorsichtig erbeutet die Frau eine große Portion genmanipulierten Ohrenschmalz und legt das Versuchstier zurück. Danach streift sie die gelbgrüne Masse auf ihre Farbpalette und atmet tief durch.

In der Wäscherei ist es inzwischen labormäuschenstill. Nur schnelle Pinselstriche und ein freudiges Kichern sind zu hören. Für diese zehn Minuten am Tag ist sie glücklich. Sie hat es geschafft.

„Und hier ist noch so ein Riesenfleck. Wie ekelhafff‘ ist das denn bitte?!“ Meine damalige Freundin hält mir das fleckige Kissen unter die Nase. „Der Zimmerservice war da und so sieht der frische Bezug aus?“ Ich betrachte das Kunstwerk und stelle fest, dass trotz der groben Pinselführung die Farben und Formen in einer sehr harmonischen Beziehung zueinander das Motiv des prä-kubistischen Verlusts und der repetitiven Abkehr der Hoffnung geradezu avantgardistische Paradigmen annimmt. Außerdem wird mir schlecht, weil da riesige popelfarbige Flecken auf dem Ding sind, in das ich später mein Gesicht drücke. „Was machen die da eigentlich in der Wäscherei?“

 

Klarstellung

In einer früheren Version dieses Artikels habe ich behauptet, dass ein Mitarbeiter eines thailändischen Hotels auf Koh Tao mit dem Ohrenschmalz genmanipulierter Mäuse für die Flecken auf unseren „frischen“ Bettbezügen verantwortlich ist. Nach Rücksprache mit dem Hotel muss ich nun diese Stellungnahme anhängen:

„Sehr geehrter Herr Mayntz, bei den von Ihnen geäußerten Mutmaßungen über ehemalige Labortiere und unseren Wäschereimitarbeitern ist wohl die Fantasie mit Ihnen durchgegangen. Wir haben in unserer Wäscherei nur Mitarbeiterinnen. Mit freundlichen Grüßen“

Ich habe die entsprechenden Textstellen geändert.

Schmalz auf Leinwand

Schmalz auf Leinwand

 

 

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