Vor ungefähr 4,6 Milliarden Jahren entstand durch viele glückliche Zufälle unser Planet. Immer wieder kollidierten größere und kleinere Gesteinsbrocken mit Geschwindigkeiten von mehreren tausend Stundenkilometern mit unserer Erdoberfläche. Diese Oberfläche war ein feindseliger Ort, durchzogen von Flüssen und Seen aus geschmolzenem Gestein.
So in etwa sieht mein Magen nach einem ausgiebigen Mittagessen aus. Anders als die Erde, die irgendwann von alleine erkaltete, ist der Lava-Sodbrennen-See mein ständiger Begleiter. Ich meide scharfe Speisen, wie Berliner Flughäfen ihre Fertigstellung.
Seitdem feststeht, dass meine Reise in Indien beginnt, war die häufigste Resonanz: „Uh. Pass dann aber höllisch auf deinen Magen auf.“ Alles klar. Wird gemacht. Ich weiß ja selber was dann passiert: Magenkrämpfe, Sodbrennen und dann das große Finale. Während bei anderen Leuten ein kurzer Toilettengang sein Übriges tut, beginnt bei mir das Spektakel. Ohne jetzt ins Detail zu gehen, erkläre ich kurz was bei meinem Live-Action-Jackson-Pollock-Speedpainting ohne Hände passiert:
Stellt euch vor, ihr schaut euch ein gigantisches Feuerwerk an. Statt den üblichen „oh“s und „ah“s rufen alle aber „bäh“ und „igittigitt“. Und die Kinder rufen: „Papa, es regnet Schokolade“. Und die Väter schreien: „Grundgütiger, Jens! Mach den Mund zu! Das ist keine Schokolade!“. Und die Mütter brüllen hysterisch: „Das ist doch krank! Krank ist das!!! Warum wolltest du denn unbedingt wieder hier hin?“ Woraufhin die Väter erwidern: „Ich hab’s dir beim letzten Mal schon gesagt. Hier gibt es das beste Chili con Carne der Stadt. Herrgott nochmal, Jens. Damit kannst du keinen Schneemann bauen!“ Dann kreischen die Frauen: „Ferdinand. Ich kann das nicht mehr. Es ist aus.“
Ganz recht. Menschen trennen sich, wenn ich beim Mexikaner falsch bestelle.
Ich begutachte also vorsichtig mein erstes indisches Essen, das mir auf dem Flug von Frankfurt nach Delhi serviert wird. Meine Argusaugen scannen den Reis mit Hühnchen und den Beilagensalat, auf dem eine kleine Bohne thront. Ein kleines Chilitütchen liegt daneben. Ein gutes Zeichen. Wer es scharf möchte, macht es sich scharf. Ich versuche das Päckchen loszuwerden aber anscheinend klemmen die Fenster. Air India ist auch nicht mehr das, was es mal war.
Wie ein Victorias Secret Model bei einem üppigen Lunch picke ich zwei Reiskörner und ungefähr vier Atome der Sauce des Curryhühnchens. Nicht scharf. Sehr gut. Jetzt wird ungehemmt geschlemmt. Ich schaufle mir das Huhn mit dem Reis ins Gesicht. Öffne das Salatschälchen und nehme auch da eine große Portion zu mir. Nach dem ersten Zermahlungsdurchgang fällt mir auf, dass die Bohne ein wenig komisch schmeckt.
Zweites Mal kauen und runter damit. Plötzlich sehe ich aus dem Augenwinkel, dass mein Sitznachbar seine Bohne vom Salat aufs Tablett legt. Seine Bohne sieht einer Peperoni aber auch zum Verwechseln ähnlich. Ich horche kurz in mich hinein, um sicherzugehen, dass ein Mensch alleine tatsächlich so bescheuert sein kann, eine Bohne mit einer Peperoni zu verwechseln. Die Temperatur in meinem Mund nimmt zu. Auf meiner Stirn bilden sich Schweißperlen und ich überlege, wie ich vor meinem Hochschulabschluss und Abitur überhaupt das Seepferdchen bestehen konnte. Anscheinend habe ich ja die kognitiven Fähigkeiten eines neugeborenen, blinden Nacktmulls. Aber kein cleverer neugeborener Nacktmull. Eher einer, der leider etwas unterbemittelt ist, weil seine Nacktmullmutter während der Schwangerschaft getrunken hat, um über die Trennung von ihrem Nacktmullmann zu kommen, da die beiden sich damals am Tisch eines netten Mexikaners zerstritten haben, bei dem ich zufällig zur exakt gleichen Zeit zugegen war.
Ich sitze im Flugzeug Richtung Indien und in meinem Magen entsteht gerade ein neuer Planet. Neuer Spielstand: Indien 1. Martin 0.

Plural: Murgs