Tüte Chips, Bier, Fanta für die Kleinen und das Brettspiel Risiko, mehr braucht man nicht, um eine funktionierende Familie auseinander zu reißen. Papa hebt die emotionalen Schützengraben mit taktischer Niedertracht aus, während links und rechts die Mörsergranaten in Würfelform einschlagen.
„HA! Sechs!!! Westaustralien gehört mir. Verpiss dich, du Hässlichkeit.“ – „Aber… aber Großmutter?!“
Glorreiche Bündnisse werden auf dem Schleifstein für den finalen Dolchstoß unterschrieben. Hysterische Verlierer gegen unfaire Gewinner. Spieleabend eben.
Bei einem verlorenen Monopoly-Abend muss man schon eine bittere Pille schlucken; eine Niederlage nach einer hitzigen Risiko-Schlacht hingegen kommt einem viel zu großen Zäpfchen gleich. Die einzig positive Nebenwirkung des Spiels, welches ein Franzose 1957 aus dem blutigen Auswurf Satans geschmiedet hat, ist das zweistündige Starren auf eine Weltkarte. An solchen Abenden habe ich mehr über Geographie gelernt, als in der Neunten in Erdkunde bei Herrn Voigt.
„Sie haben Asien erfolgreich befreit“ sagt meine Missionskarte. Die Aufgabe: „Besuchen Sie vier Länder Ihrer Wahl“. Risiko-Level: Amateur. Ich sitze im Flugzeug Richtung Darwin. Hinter mir der asiatische Kontinent, vor mir das australisches Festland. Ich bin zufrieden mit den ersten drei Monaten der Weltreise, die gefühlt schneller vorbei waren als die erste Ehe von Britney Spears. Gab auch nur halb so viel zu bereuen.

Je länger man auf dieses Bild starrt, desto später wird einem bewusst, dass man eigentlich arbeiten muss.
Viele Tipps von Freunden und Familie habe ich auf der Reise angenommen, noch mehr dankend abgelehnt. Ich bin immer offen für alles, löse mich aber von dem MÜSSEN. Also nicht von dem auf Toilette müssen. Das läuft seit dem indischen Essen leider nur noch wie geschmiert.
„Wenn du in [Ort XY] bist, musst du unbedingt nach [Ermutigungen gehen von philippinischen Stränden über Vietnam bis zur Umkleidekabine der Ladyboystarlets Tits ‚n‘ Skittles, die derzeit mit ihrem Bühnenprogramm ‚Taste the Rainbow‘ alle Rekorde brechen].
So sieht der Vordruck für gutgemeinte Ratschläge aus. Ich bekomm das langsam und auch fast sicher mit meiner Navigation und eigenem Tempo auf die Reihe. Eine 27-jährige Amerikanerin ist die jüngste Frau der Welt, die es vor Kurzem in Rekordzeit geschafft hat, alle Länder unseres Planeten zu bereisen. Das klingt nach einem spannenden Abenteuer, hat für mich aber keinen erstrebenswerten Wiederholungscharakter. Zuallererst bin ich nämlich schon etwas länger keine 27-jährige Amerikanerin mehr. Dann ähnelt mein Kontostand eher dem ASCII-Code eines Mittelfingers und nicht 186.000 Dollar. Und außerdem möchte ich die Menschen in den jeweiligen Ländern kennenlernen und nicht den Globus zu einer To-Do-Liste umfunktionieren. Ich will nicht alles sehen – nur das Richtige.
Durch meine diversen Krankenhausaufenthalte (die sich durch mein Leben ziehen wie ein roter Faden) plus meine Ungeschicktheit (die sich durch mein Leben zieht wie das Stolpern über einen roten Faden) haben viele Freunde besorgt nachgefragt, ob ich mich bei einem sehr wahrscheinlichen Todesfall auch ausreichend für den Rücktransport meiner sterblichen Überreste versichert habe. Das war die zweite Versicherung, die ich abgeschlossen habe. Der kluge Tote sorgt vor. Bislang habe ich nur von der Versicherung Gebrauch gemacht, die als erstes abgeschlossen wurde: Meine Auslandskrankenversicherung. Asien hat mich nämlich schon auf Herz und Nieren getestet.
Bislang berichtet mein Reisetagebuch von einem Hexenschuss, indischem Durchfall à la carte, einer Erkältung, einem viralen Infekt, zwei ausgerenkten Wirbeln, einer Hodenprellung, einer Verbrennung zweiten Grades von einem Moped Auspuff, Nasenbluten, 49 Mückenstichen, flächendeckendem Sonnenbrand und einem gebrochenen Zeh.
Ich glaube, dass ich nichts unterschlagen habe. Aber selbst diese Auflistung ist für drei Monate kein schlechter Schnittwunden habe ich noch vergessen. Diverse Schnittwunden.
Dennoch lässt mich das Gefühl nicht los, dass ich trotz meiner körperlichen Versehrtheit das viel zitierte Glück im noch häufiger zitierten Unglück gepachtet habe. Kurz nach der Abreise aus Indien hat die Entwertung der 500 und 1000 Rupien Scheine eine mittelgroße Versorgungskatastrophe ausgelöst. Ich verlasse das sonnendurchflutete Thailand Richtung Bali – der thailändische König verlässt seine Untertanen Richtung ewige Jagdgründe. Staatstrauer und Alkoholverbot Anfang Oktober. Überschwemmungen Mitte Dezember. Meine Flip-Flops sind inzwischen durchgetragen und in Deutschland schneit und friert es in den letzten Wochen so heftig, wie im Herzen eines besorgten Bürgers.
Es könnte alles schlimmer sein. Aber heute ist ja kein Spieleabend.
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